Nähe durch Worte

Leseprobe aus dem Vorwort der Anthologie NÄHE DURCH WORTE – 17 Geschichten über Frauen und ihre Väter —

Welchen Einfluss hatte mein Vater auf mein Leben? Dieser Frage spürten elf Frauen nach. Sie berichten von prägenden Momenten und reflektieren, wie die Beziehung zum Vater ihr Leben beeinflusst hat.

Die vielfältigen Perspektiven der Erzählungen machen dieses Buch zu etwas Besonderem. Die Ehrlichkeit, das ungeschminkte Erzählen, die Liebe, die spürbar ist, trotz zuweilen schwierigster Verhältnisse – all dies lässt manchmal den Atem stocken. In seiner Dichte zeigt diese Anthologie ein umfassendes Porträt der Vätergeneration des 20. Jahrhunderts. Sie war von den Erlebnissen der Männer in den Kriegen geprägt. Erst als in mehreren Erzählungen immer wieder vergleichbare väterliche Verhaltensweisen auftauchten, wurde für die Autorinnen erkennbar, wie die Kriegserfahrung der Väter ihr eigenes Leben beeinflusst hat. Trotzdem ging jede Familie anders damit um.

In den folgenden Kurzgeschichten werden Eigenschaften und Verhaltensweisen aus verschiedenen Kulturen und Gesellschaftsschichten beleuchtet. Bei aller Verschiedenheit drängen sich gemeinsame Nenner auf. Umgekehrt gibt es dann innerhalb einer Familie unterschiedliche Sichtweisen auf den Vater. Dies wird durch die Erzählung von zwei Schwestern deutlich.

Zum Abschluss erzählt eine Familie der nachfolgenden Generation: Mutter, Vater und erwachsene Tochter berichten darüber, welchen ungeahnten Einfluss die häufige Abwesenheit des Vaters auf ihre Familie hatte und wie sie damit umgegangen sind.

Gerade wenn es um zwischenmenschliche Themen geht, kann man durch authentische Geschichten in kurzer Zeit mehr erfahren als mit theoretischen Abhandlungen.

Es ist wohl unvermeidlich, dass sich auch Menschen, die sich lieben, Verletzungen zufügen. Durch das Erzählen wird das, was war, immer unwichtiger und wichtiger wird, was man daraus gemacht hat.

Denn es geht beim Reflektieren nie um Schuldzuweisungen. Vielmehr geht es um wachsendes liebevolles Verständnis füreinander. Wir dürfen unsere Eltern nicht mit dem Wissen von heute kritisieren. Auch Väter können schwach sein. Auch Töchter dürfen stark sein. Und es darf im Leben Zeiten geben, in denen man sich stark fühlt und andere, in denen man schwach ist. Das ist eine natürliche Lebensbewegung. Eines geht aus allen Erzählungen in diesem Buch hervor. Unabhängig, ob die Kindheit schwer oder leicht war, entscheidend ist, ob man seinen Frieden damit findet.

Und ist man dann mit ererbten und ungeliebten Eigenschaften im Frieden, geschieht etwas Besonderes: Es öffnen sich neue Türen zu vorher ungelebten Lebensmöglichkeiten. Vieles liegt in unseren Genen, damit es nie vergessen werden kann.

Solche Zusammenhänge werden oft erst in späteren Jahren in vollem Umfang bewusst. Vielleicht meldet sich der Wunsch, sich mit den geliebten und auch ungeliebten Eigenschaften des eigenen Vaters auseinanderzusetzen gerade deshalb, weil manche Talente bisher keinen Ausdruck im eigenen Leben finden konnten?

Dies mag ein unbewusstes Motiv für die Autorinnen gewesen sein, sich auch in reiferen Jahren noch einmal mit dem Vater-Thema zu beschäftigen. Sie kommen aus unterschiedlichen Regionen und gesellschaftlichen Gruppen, das macht die Vielfalt der Betrachtungen zu einem großen Schatz. Einige kennen sich von einem Schreibforum und tauschen ihre Texte untereinander aus. So entstand die Idee, diese Anthologie über Väter-Töchter-Beziehungen herauszubringen. Weitere schreibbegeisterte Frauen gesellten sich hinzu.

Alle Beiträge sind authentisch und von Herzen mitempfunden und teilweise mit einem zwinkernden Auge verfasst. Die Texte lassen ein Bild entstehen von den Menschen in den Geschichten, ihren Gedanken, Gefühlen und ihrer Einstellung. Sie lassen auch ein Bild entstehen von dem Menschen, der schreibt. All dies vermittelt sich zwischen den Zeilen. Es sind nicht die geglätteten Ausdrucksweisen der Schulaufsätze, die Betroffenheit auslösen. Vielmehr ist es eine Erzählweise, als würde ein Autor wie bei einer zufälligen Begegnung neben mir sitzen und ich höre zu. In solchen Situationen tritt das kritische Auge zurück; das freundliche Ohr interessiert sich für Verwandlungen und was wir in dem Erzählten für uns selbst entdecken. Solche Lesemomente entführen uns in eine andere Welt und lassen uns zugleich unser eigenes Leben neu betrachten. Magische Momente, in denen die Zeit stillsteht, entstehen.

Lesen Sie weiter in dem Buch Nähe durch Worte – eine Anthologie über 12 unterschiedliche Frauen und ihre Väter.

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