Möchte ich im September die Kraft des Sommers noch ein letztes Mal ganz bewusst in mich aufnehmen, gehe ich in den Rosengarten bei der Neuen Residenz in Bamberg. Er ist von einer unscheinbaren gelb-gestrichenen Mauer umgeben und unmittelbar, wenn man durch das Tor tritt, wird die Essenz des Sommers greifbar. Am Ende zeigt er seine sanfte und leichte Seite. Ich brauche keinen Sonnenschutz mehr; es ist warm; die Füße genießen den Luftzug, der sie umspielt. Vielleicht ist der Spätsommer jene Jahreszeit, in der sich die Seele am wohlsten fühlt und die ihrer Natur am nächsten kommt. Doch stimmt das? Meine Seele liebt auch das Eintauchen in die Stille des Novembers, genauso wie die aufbrechenden Blüten Ende April, jener Zeit, in die ich hineingeboren worden bin. Die Zyklen im Leben gehen und kommen von allein, unaufhaltsam, gerade der Wechsel bereichert das Leben.
Was einem Seelenzuhause hier im Rosengarten so nahe kommt, ist die geschützte Ruhe im Freien, ohne Ablenkungen, konzentriert auf die Schönheit der Rosen, ihre Fülle und ihren Wohlgeruch. Weiße Schneewittchenrosen duften auch jetzt noch frischgrün wie der Frühling, roséfarbene Sutters Gold mit gelben Blütenspitzen betört durch ihr Maiglöckchenparfum. Hellgelbe Sedana riecht nach Junisommer, süß und weit, und sonnengelbe Goldmarie frisch und beschwingt. Die Düfte führen mich noch einmal durch die Facetten des Sommers.
Der Gang zwischen den Rosenbeeten leitet mich zu einer Bank am Springbrunnen-Rondell, von der aus ich die Stadt nur sehen kann. Ihren Lärm höre ich hier nicht. Der einzige äußere Wirbel, der bis hierher durchdringt, sind die Kirchenglocken, jetzt zum Mittagsläuten in all ihrer Vielfalt: Die mondänen Domglocken, die laute bim-bim-Sterbeglocke einer nahegelegenen Kirche, das melodische Geläute im Hintergrund, dessen Parade kommt, wenn die Domglocken verstummt sind. Tiefes Getragensein klingt lange nach. Es müssen mächtige Glocken sein, die diesen Klangteppich weben.
Manchmal gibt es Störgeräusche. Sie kommen fast immer von Menschengruppen. Die still staunenden Fotografen sind es nicht, eher die Telefonierer, Plapperer, Reisegruppen, die in einem Checklisten-Modus durch den Rosengarten gehen und sich beschweren, dass manche Sorten bereits verblüht sind. Trotzdem: Hier findet man die selten gewordene Spezies von Menschen, die ohne Handy in der Hand einfach dasitzen und schauen und genießen und mit sich alleine glücklich sind.
Nicht nur das Licht, auch die Ruhe ist wie Nahrung. Man braucht sie immer wieder aufs Neue. In Gärten mit schützenden Mauern lässt sich Ruhe tanken. Innere Beschwingtheit stellt sich wieder ein.
Wie ein neuer Mensch gehe ich zurück in meinen Alltag. Und weiß, an einem lichtarmen regnerischen Wintertag werde ich meine Geschichte wieder lesen und die Kraft des Sommers und des Lichts durch meine Adern strömen lassen.
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