Von der Kraft der Anpassung

Schilf am Ufer eines Bergsees

Du stehst dort, wo du eigentlich nicht hingehörst. Bist Verzierung in einem eingegrenzten Bereich an einem großen Bergsee. Um dich herum ist Kies. Es sind mehr als zwei Meter Abstand bis zum Wasser. Du verbirgst dem Auge deine Geschwister im See, rechts und auch links des eingegrenzten Bereichs. Weit reichen sie ins Wasser hinein und treiben dort ihre Blüten. Zarter wirken sie, eigentümlicherweise. Mit lichtem Abstand stehen sie im Wasser und erobern sich dort neues Terrain. Im Wasser haben sie den Uferbereich längst für sich beansprucht. Kein Menschenfuß verirrt sich dorthin, wohl aber Entenfamilien, Frösche und die Brut der Schilfrohrsänger.

Die jungen frischen Triebe im Wasser, müssten sie nicht eigentlich kräftiger sein als ihre Sandgeschwister? Doch denen scheint es durchaus gut zu gehen. Sie haben sich ihrer neuen Heimat angepasst. Die großen Mutterpflanzen tragen kräftige Stängel, umringt von kleineren, zarteren Nachkömmlingen. Die Mütter stehen aufrecht im Wind, ihre Spitzen flattern, während das Jungvolk dem Wind nachgibt und sich biegt.

Es sind nur wenig braune Halme zu sehen, obwohl das dem Schilf eigen ist, weder bei den jungen noch bei den älteren Pflanzen. Was lässt sie so vital sein an diesem für Wasserpflanzen so spröden Ort, neben einer durstigen Birke und unter einer großgewachsenen Erle?

„Wir sind anpassungsfähiger als du uns zutraust“, antwortet das Schilf. „Es gibt auch ein glückliches Leben unter widrigen Bedingungen.“


Für alle, die an Orten blühen,
an denen man das nicht vermutet.


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