Stricken und Einsichten

Ein angefangenes Strickstück auf einem Sofa, daneben ein Notizbuch und eine Tasse

Stricken und Einsichten |

Es gab eine Zeit, da habe ich viel gestrickt. Nun habe ich einfach wieder angefangen – mit Puppenkleidern aus günstiger Wolle. Teilweise sind schöne Ergebnisse dabei herausgekommen, angepasst an die Eigenart der Puppen. Das Maschenbild ist nicht mehr so gleichmäßig wie früher, als ich viel strickte. Damals war es Mode. Jeder strickte, überall, sogar Männer.

Ich habe Norwegerpullover mit komplizierten Mustern gestrickt. Oft mit dicker Wolle, ich wollte schnell fertig werden. Manchmal ließ die Freude an etwas Angefangenem nach, und es lagen unfertige Strickprojekte herum. Manchmal kaufte ich neue Wolle, obwohl meine Schubladen noch voll waren. Das ging ganz schön ins Geld, denn ich hatte Gefallen an edlen, weichen Garnen gefunden, Angora, Alpaka, Merino. Und einer hochmercerisierten Baumwolle mit seidenem Glanz – in Weiß und dunklem Grau.

Diese Baumwolle ist geblieben. Sie hat alle meine Lebensbewegungen mitgemacht. Vierzig Jahre lag sie in einer flachen weißen Schachtel. Jetzt wollte sie endlich verarbeitet werden.

Ich mussste üben. Dieses Garn verzieh nichts. Synthetikwolle nimmt manches hin, was eine Prinzessin nicht ertragen kann.

Nun tue ich nichts anderes als in früheren Jahren und doch ist alles anders. Früher scholt ich mich für meine üppigen Wollvorräte, die in meiner Kommode herumlagen. Heute weiß ich: Kreativität braucht Auswahl. Aus einer Fülle von Möglichkeiten entsteht alles mit mehr Leichtigkeit und Spiel. Es verliert Strenge und Ernsthaftigkeit – die alle auch ihr Gutes haben -, doch sie gehören in eine andere Welt. Kochen mit Resten ist kreativ, kochen nach einem Bummel über den Markt: eine Wonne.

Damals wollte ich perfekte Ergebnisse. Oft quälte ich mich, wenn ein Strickstück nicht so ausfiel, wie ich es mir erhofft hatte. Nicht alle Ideen gehen auf und nicht alle ersten Versuche führen zu einem Lieblingsstück. Ja, zehn Stücke stricken und ein Lieblingsstück kommt dabei heraus – das scheint eine schlechte Ausbeute zu sein. Aber Kreativität ist nicht effizient. Man sitzt, bewegt kaum die Hände, und dennoch wächst etwas. Und während es Form annimmt, geschieht auch etwas mit einem selbst.

Für alle, die spüren, dass auch das Gelungene
auf Umwegen entsteht.


  • Beitrags-Kategorie:Miniatur