Frauen nach der Menopause wird nachgesagt, dass sie genau wissen sie wollen und das auch sagen. Die Wechseljahre sind scheinbar wie eine Häutung, reinigend und klärend. Und es wird Energie freigesetzt, die vorher für Menstruation und Erziehung gebunden war. Es ist ähnlich wie nach der Pubertät: Während der Hormonumstellung bildet sich innerlich ein neues Selbstverständnis heraus.
Reife Frauen wissen besser, was sie wollen, sprechen es eher aus, können Nein sagen und sich besser abgrenzen. Sie wissen auch genau, was sie nicht mehr wollen und können das loslassen, was sie nicht mehr brauchen. Oft sind das materielle Dinge, manchmal auch vermeintliche Fehler, die sie sich jetzt endlich selbst verzeihen. Natürlich hat diese neue Selbstgewissheit auch Auswirkungen auf ihre Partnerschaft. Paulas Geschichte handelt von einer reifen Frau, die ihre Rolle in der Beziehung geändert hat.
Paulas Geschichte
Paulas Mann Peter war Personalleiter mit Leidenschaft. Kurz vor seiner eigenen Rente ging sein Unternehmen in Insolvenz und er musste die Entlassung aller Mitarbeiter organisieren. Er hätte sich ein anderes Ende gewünscht, eines mit Verabschiedung und Dankesrede. Doch so war es nicht. Als alle anderen gegangen waren, schloss er als Letzter die letzte Türe ab. Der Beginn seines Ruhestands war wie eine Vollbremsung bei Tempo zweihundert.
Paula arbeitete noch. Seit Jahren ging sie einer Teilzeittätigkeit nach und betrachtete Haus und Garten als ihren Verantwortungsbereich. Ihr Mann begann nach seinem letzten Arbeitstag das Haus umzuorganisieren. Am schlimmsten war für Paula seine ständige miese Laune und dass er permanent um sie herum war. Bei allem Verständnis konnte sie das nach sechs Monaten fast nicht mehr aushalten.
„Er redet mir überall hinein, weiß alles besser, was ich seit Jahr und Tag so für mich organisiert habe. Und wenn er anfängt Keller oder Garage aufzuräumen, ist das zurückbleibende Chaos unbeschreiblich. Ich glaube, in ihm sieht es genauso aus. Ich verstehe das, aber ich halte es nicht mehr aus“, schüttete sie ihrer Tochter Pia ihr Herz aus. Paula spielte immer häufiger mit dem Gedanken an Trennung.
Wie es so passiert, tat sich zufällig eine Gelegenheit für eine räumliche Trennung auf. Die Tochter trat ihre erste Stelle nach dem Studium an und Paula entschied sich, für einige Zeit deren kleine Wohnung in der Nachbarstadt zu übernehmen. Das passte Peter nicht. Erst beschwor er Paula, dann drohte er ihr. Sie war fest entschlossen und zog um. Sie brauchte Abstand und das nicht nur für zwei Wochen. Sie wusste gar nicht mehr, ob sie sich von seiner schlechten Laune anstecken ließ oder ob sie inzwischen selbst so mies drauf war.
Unerwartet schnell pendelte sich der neue Zustand ein. Paula wollte keine strikte Trennung, nur mehr Zeit für sich. Peter murrte zwar weiterhin, denn er hatte sich die Rente anders vorgestellt und überhaupt keine Lust aufs Alleinsein. Er bekam einen Schnupfen, verletzte sich an der Hand – in früheren Jahren wäre Paula eingeknickt, diesmal blieb sie in Ruhe bei ihrem Wunsch. Dass er ihr kein Ultimatum stellte und damit auf eine endgültige Entscheidung drängte, war eine Leistung für ihn und sie wusste das. Als Manager war er es gewohnt, immer sofort zu handeln und Fakten zu schaffen.
Zwei Monate später erwischte Pia ihren Vater quasi in flagranti mit einer anderen Frau im Wohnzimmer ihres Elternhauses. Sie wollte ihre Skiausrüstung abholen und war in diesem ungünstigen Augenblick unerwartet aufgetaucht.
„Sag deiner Mutter bitte nichts, das mache ich besser selbst“, bat ihr Vater Pia.
„Dafür hast du exakt zehn Minuten Zeit, nämlich so lange, bis ich meine Skier im Auto verstaut habe. Dann rufe ich Mama an.“
Er ließ die Frist verstreichen und war insgeheim wohl erleichtert, weil die Heimlichkeit nun ein Ende hatte. Ärger war in jedem Fall unausweichlich, egal ob seine Frau die Botschaft von ihm oder seiner Tochter erfahren würde.
Paulas erster Impuls war: Ich fahre sofort hin und stelle Peter und seine Geliebte zur Rede. Wie ein Racheengel würde sie das schlechte Gewissen der beiden auskosten und die Nebenbuhlerin mit Donner und Doria aus dem Haus werfen. Aber sie widerstand der Versuchung und dachte sich etwas Besseres aus: Sie meldete sich gar nicht und ließ Peter schmoren. Nach drei Tagen endlich bat er um ein Gespräch. Die Affäre wäre nicht geplant gewesen, es sei einfach so passiert, er wisse nicht, wie es weitergehen würde.
Danach fühlte sich Paula erst so richtig mies. Gedemütigt und durch eine andere ausgewechselt, ohne, dass er auch nur den Versuch machte, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Sie fühlte sich schrecklich missachtet. Aber dann wurde ihr klar, im Grunde hatte er mit seiner Unentschlossenheit nun seinerseits um eine Auszeit gebeten. Vielleicht hatte er ihren Wunsch nach mehr Abstand bei ihrem Auszug ebenso als Missachtung empfunden. Wichtig war, dass sie sich selbst klar wurde, was sie will. Sie war sich einfach nicht mehr sicher, ob sie noch mit ihm zusammenleben wollte.
Paula schaffte es, über ihren Schatten zu springen und um die Affäre ihres Mannes kein großes Tamtam zu machen. Sie sagte zu ihm: „Du weißt nicht, was du willst und ich brauche auch mehr Zeit, um mir klarzuwerden, was ich will.“ Und sie fügte noch hinzu: „Allerdings musst du wissen, dass ich mich nie wieder auf das Sofa setzen werde, auf dem du mit einer anderen Frau geschlafen hast. Du beschmutzt unser Zuhause. Damit komme ich nicht zurecht.“
Damit setzte sie eine deutliche Grenze. Paula und Peter hielten einen losen Kontakt, es dauerte Monate, bis sich die beiden wieder einmal trafen. Im Grunde ermöglichte die Situation beiden all das, was sie gerade brauchten, auch wenn sie zwischen allen Stühlen hingen und nicht wussten, wo das alles noch hinführen wird. Sie mussten das aushalten.
Sie entwickelten sich auseinander. Es kam zum Bruch. Sie wollte keinen Garten mehr, kein Haus, keine regelmäßigen Verpflichtungen und frei von all dem sein. Er hatte inzwischen das Golfspielen begonnen und einen neuen Freundeskreis gewonnen, seine Ernährung und seinen Tagesablauf umgestellt und fühlte sich damit wohl. Das Haus wollten sie gemeinsam verkaufen, vorher mussten sie es ausräumen. In dieser Zeit kamen sie sich wieder näher. Quasi auf gepackten Umzugskartons sitzend, sagte er:
„Ich will mich nicht von dir trennen. Ich liebe dich und will mit dir zusammen leben. Bitte, lass uns mit diesem Quatsch aufhören.“
Paula ging es genauso. Sie blieb jedoch dabei: hier in diesem Haus wollte sie nicht länger leben.
Sie wagten einen Neuanfang in einer kleineren Wohnung in der Stadt. Geplant war, Pias ehemaliges Appartement nach dem Einzug aufzugeben und zusammen zu leben. Wieder gab es beim Kistenpacken einen Gongschlag: Nein, ein gemeinsames Zusammenleben jeden Tag und jede Nacht, das konnte sich Paula nicht mehr vorstellen. Durch die Trennungszeit waren sie beide durchgerüttelt worden, das gewohnte gegenseitige Bild war gebröckelt und jeder von ihnen hatte neue Gewohnheiten angenommen, die eigentlich nicht mehr kompatibel waren.
Paula behielt die kleine Wohnung bei. Diese Entscheidung wirbelte alle gemeinsamen neuen Lebenspläne durcheinander. Fernreisen, teure Restaurantbesuche, exklusive Sportartikel waren der Preis, der gebracht werden musste. „Wir könnten es uns so schön machen, aber dir ist ja ein eigenes Appartement wichtiger!“, warf Peter ihr vor. So kam es noch einmal zur Gretchenfrage: Wollen wir weiterhin zusammen sein und warum, wollen wir weiter zusammen bleiben?
Peter war frustriert und hatte keine Lust mehr. Jetzt hatte er sich so weit bewegt, war mehrfach über seinen Schatten gesprungen und immer noch war es nicht genug. Er fiel zurück in die finsterste Vorwurfshaltung und fühlte sich zutiefst ungerecht behandelt. Ihr ging es nicht ums Rechthaben. Sie blieb einfach ruhig bei ihrer Entscheidung. In dieser Zeit wurde ihre Beziehung das erste Mal seit langer Zeit wieder ebenbürtig. Indem sie weiterhin klar aussprach, was sie wollte und was nicht und worüber sie sich noch nicht klar war, baute sie ihm Brücken. Viel früher als er verstand sie: Es ging jetzt nicht um endgültige Entscheidungen für die nächsten dreißig Jahre. Alles konnte sich ändern, nichts war in Stein gemeißelt. Eine neue Gemeinsamkeit musste sich erst entwickeln und dafür brauchten sie Zeit und Raum.
Die beiden sind wieder zusammengekommen. Von außen gesehen, sind sie nicht mehr so festgefahren und lassen sich viel mehr Freiraum. Sie können heute beide erkennen, wie verwickelt ihr Leben war, ein einziger Wirrwarr zwischen dein und mein und kein inniges Wir. Sie mussten Dein und Mein trennen, um sich wieder selbst spüren zu können. Seitdem gibt es einen natürlich fließenden Schwung zwischen beiden. Wie bei einer liegenden Acht, rechtsherum in Paulas Welt und linksherum in Peters Welt und in der Mitte vereint.
Vielleicht ist es so, wie ich bei C.G. Jung einmal gelesen habe, dass Beziehung in vier Phasen eingeteilt werden kann: Der Verliebtheit, wo alles schön ist, der Phase der Spiegelung, wo wir in anderen etwas sehen, was wir an uns ablehnen, der dritten Phase, in der Nähe und Distanz so geregelt werden, dass sich jeder entwickeln kann und der letzten Phase, in der keine Bedingungen mehr an die Liebe geknüpft werden und wir andere so annehmen können, wie sie sind.
Margit Thürauf © Juni 2020
Diese Erzählung stammt aus der Kurzgeschichtensammlung „GESCHÄTZTES ALTER“, die im September 2023 erscheinen wird.