Um im eigenen Leben das zu tun, wozu der Impuls für dieses Leben überhaupt entstanden ist, muss Vieles, was wir über Arbeit wissen und gelernt haben, über Bord geworfen werden. Und zwar nicht nur ein bisschen, sondern sehr radikal. Um so mehr, als wir noch in einer Welt leben, die nahezu verhindert, dass wir unsere Fähigkeiten zum Wohle aller einsetzen. Die Allgemeinheit erachtet eher persönliche Vorteile als höchstes Ziel. Das folgende Essay beleuchtet die Frage nach dem richtigen Platz im Leben – zum eigenen und zum allgemeinen Wohl – und beginnt mit einem Statement:
Dort, wo wir sind, ist es richtig.
Dort können wir unsere Erfahrungen machen, dort können wir wirken und tun das auch. Das merkt man daran, wenn wir weg sind. Wenn wir nicht mehr an dem Platz sind, an dem wir sind, ist es anders. Es mag äußerlich weitergehen, nicht besser und nicht schlechter. Niemand ist unersetzbar. Der freigewordene Raum füllt sich wieder. Nur anders. Es ist nicht mehr, wie es vorher war.
Besonders deutlich ist das in der Familie. Wenn eine oder einer geht, ist alles anders. Diesem Gedanken folge ich jetzt nicht, sondern wende mich dem Zeitpunkt zu, wann es Zeit ist, zu gehen.
Die erste innerliche Frage, ob es Zeit sei, zu gehen, ist noch ganz leise. Es ist ein Gedanke, der mir nicht entgeht, den ich jedoch wegwische, weil mir die Konsequenzen nicht in den Kram passen. Sie erscheinen mir viel zu groß im Vergleich zu dem, was ich verlieren würde. Die Konsequenzen erfordern von mir ein Vorgehen, das nicht zu meinen Plänen passt und nicht mit meiner Risikobereitschaft übereinstimmen. Ich weiß es sofort, ich würde mich auch nicht wohlfühlen, wenn ich diesem Gedanken folgen würde und alle Sicherheit aufgäbe. Trotzdem macht die Frage sich im eigenen Kopf breit. Die Vernunft hält dagegen. Warum ist die Gegenreaktion so heftig? Weil der Impuls so wichtig ist.
Diesem Impuls sofort zu folgen, noch in dieser Minute zu kündigen und offen zu bleiben für das, was da wohl auf mich zukommt – wäre das die richtige Handlung? Nein, niemals. Der Impuls will beachtet werden. Er darf Raum bekommen, um sich zu entwickeln und greifbar zu werden. Mehr ist noch nicht zu tun.
Gestern war dieser Platz für mich noch richtig und heute spüre ich, wie mich eine neue Welle erfasst und an einen anderen Platz hinspülen wird. Das Wichtigste, was ich tun kann: mich mitnehmen lassen, sanft. Ich muss keine Klimmzüge unternehmen, keine heftigen Stromschnellen überstehen, nicht kämpfen, ich kann mich sanft dorthin spülen lassen, wo der richtige Platz für mich ist.
Es ist nicht einfach auszuhalten:
Einerseits am richtigen Platz sein und andererseits erspüren, dass es mich gerade an einen anderen richtigen Platz trägt. Einerseits an dem Platz bleiben, wenn das Neue noch nicht auftaucht, ganz präsent, nicht mich hineinträumen an einen anderen richtigen Platz, nein, präsent hier sein und trotzdem offen für das Neue bleiben. Was es mit sich bringen wird? Auch das weiß ich ansatzweise bereits, denn manchmal erreichen mich Lichtblicke. Neue Menschen. Ein neuer Ort. Bin ich bereit dafür? Dafür oder für etwas Anderes!
© Margit Thürauf, 10.05.2023